Physiotherapie bei Schwindel

Physiotherapie gehört zu den bedeutenden Behandlungsmethoden bei den häufig auftretenden Schwindelarten. Für den richtigen Behandlungsansatz sind auch hier die genauen Ursachen sowie die Diagnose des Arztes ausschlaggebend. Im Fokus stehen der gutartige Lagerungsschwindel und dafür geeignete Befreiungsmanöver sowie die vestibuläre Therapie bei Schwindel, dessen Ursachen z.B. entzündliche Erkrankungen im Ohr oder Gehirn sein können. Auch der zervikogene Schwindel, der durch eine Fehlfunktion der Halswirbelsäule hervorgerufen wird, kann im Rahmen der Physiotherapie mit manueller Therapie behandelt werden.

 

Physiotherapie in Abgrenzung zur Physikalischen Therapie

Physiotherapie und Physikalische Therapie sind streng genommen zwei eigenständige Behandlungsbereiche, die jedoch in der Praxis kombiniert werden. Man spricht auch immer vom Physiotherapeuten und nicht vom physikalischen Therapeuten. Abrechnungstechnisch werden beide Bereiche differenziert behandelt, wobei es hier wiederum gerade in der Physiotherapie Unterschiede zwischen Therapieformen, welche die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen und denen, die der Patient selbst zahlen muss, gibt. In einer Physiotherapie-Praxis werden beide Bereiche hinsichtlich der Anwendung gleichermaßen und ggf. patientenspezifisch kombiniert durchgeführt.

Im Hinblick auf das Thema Schwindel werden in den folgenden Ausführungen explizit die physiotherapeutischen Maßnahmen erläutert, während sich das Kapitel Physikalische Therapie bei Schwindel mit den entsprechenden Anwendungen genauer befasst. Physiotherapie und Physikalische Therapie können sich in der Schwindelbehandlung wunderbar ergänzen.

Die Physiotherapie konzentriert sich bei Erkrankungen und Schädigungen des Bewegungsapparates auf Bewegungen und Bewegungsabläufe und wurde früher Krankengymnastik genannt. Bei den klassischen Methoden setzt sie durch Analyse und folgende praktische Anleitung zu Übungen auf Lockerung und Kräftigung der Muskulatur, Mobilisation der Gelenke, Lösung von Blockaden und Optimierung der Körperhaltung. Die aktive Mitarbeit während der Behandlungssitzungen sowie danach mit den erlernten Bewegungsübungen zu Hause wird vom Patienten gefordert, um den Heilungsprozess effektiv anzukurbeln.

 

Manuelle Therapien

Ein weiterer Bereich ist das gezielte Training bei neurologisch bedingten Störungen mit dem Ziel, Mobilität und Koordinationsfähigkeit zu erhalten. Hier werden auch spezielle physiotherapeutische Behandlungsformen, z.B. die manuelle Therapie oder das Bobath-Konzept, angewandt.

Manuelle Therapien sind gekennzeichnet durch spezielle Handgriffe des Therapeuten. Er ertastet Bewegungsstörungen und behandelt diese dann ausschließlich mit den Händen, z.B. mit leichtem oder stärkerem Druck und punktueller Massage. Mit der klassischen Massage sind diese Techniken jedoch nicht gleichzusetzen. Für die Anwendung von manuellen Therapie-Techniken, beispielsweise Manuelle Therapie nach Maitland, Kaltenborn, Cyriax, Chiropraktik oder Osteopathie, benötigen Physiotherapeuten eine entsprechende Zusatzqualifikation. Die Abrechnung von manuellen Therapien richtet sich nach der konkreten Methode und nach der Anerkennung der Ausbildung von Seiten der Krankenkassen.

Manuelle Therapien finden in der Physiotherapie immer mehr Beachtung bei Problemen mit Rücken und Kopf, Muskeln und Gelenken, insbesondere bei Verspannungen durch Fehlhaltung und chronischen Beschwerden nach Verletzungen und Unfalltraumata.

Je nach Therapieansatz steht die ganzheitliche Betrachtung des Patienten im Fokus, die neben dem Körper auch die Seele, also das psychische Befinden mit einschließt. Sehr gute Beispiele sind hier im Zusammenhang mit Schwindel die Osteopathie und das Rolfing, die zur Alternativen Medizin gezählt werden, aber ebenfalls von Physiotherapeuten mit der entsprechenden Qualifikation angewendet werden können.

Physiotherapeuten arbeiten eng und abstimmend mit den betreuenden Ärzten zusammen, der Patient erhält für die Behandlungen ein Rezept. Physiotherapeutische Behandlungen wie auch physikalische Therapien werden von ausgebildeten Physiotherapeuten, staatlich anerkannten Masseuren und medizinischen Bademeistern durchgeführt.

 

Die wesentlichen Behandlungsansätze bei Schwindel in der Physiotherapie

Der gutartige Lagerungsschwindel (Beninger pheripherer paroxysmaler Lagerungsschwindel) und der anhaltende Drehschwindel bei entzündetem Gleichgewichtsnerv (Neuritis vestibularis) können durch spezielle Manöver und langfristig angelegte Übungen erheblich gebessert werden. Denn Schonung und Ruhe bewirken meist eine Verschlimmerung, während gezieltes Training den Schwindel reduziert und ihm vorbeugen kann.

Die Übungen provozieren im ersten Schritt Haltungsunsicherheiten, worauf dann Korrekturbewegungen folgen. So trainiert der Patient seinen Gleichgewichtssinn und lernt automatisch, Schonhaltungen zu vermeiden. Die wichtigen Behandlungsstrategien lauten in der Physiotherapie: Befreiungsmanöver und Vestibuläre Rehabilitationsherapie.

Ein dritter Behandlungsansatz folgt dem zervikogenen Schwindel, der sich durch eine Fehlfunktion der Halswirbelsäule und der damit verbundenen Knochen, Muskeln, Bänder und Sehnen ergibt. Durch Muskelverspannungen und Gelenkbeschwerden kann hier die Funktion der Hirnnerven beeinträchtigt werden. In der Physiotherapie kommen bei HWS-Schwindel in erster Linie manuelle Therapien in Frage, die auch mit der vestibulären Therapie ergänzend kombiniert werden können.

 

Befreiungsmanöver bei Lagerungsschwindel

Beim gutartigen Lagerungsschwindel – Beninger pheripherer paroxysmaler Lagerungsschwindel – wird der Schwindel durch losgelöste Ohrkristalle (Otokonien oder Otholithen) ausgelöst, die in den Bogengängen des Gleichgewichtsorgans umherirren und dadurch falsche Orientierungssignale an das Gehirn senden. Diese winzigen Calciumkristalle haben für den Gleichgewichtssinn eine wichtige Funktion, wenn sie in ihrer gelartigen Membran am Vorhof der Bogengänge bleiben, denn sie sind maßgeblich für die Orientierung im Raum. Durch Alterserscheinungen oder Kopfverletzungen können sie sich loslösen, was dann zu einer Schwindelattacke führt, wenn schnelle Körper- oder Kopfbewegungen ausgeführt werden.

Die Physiotherapie setzt hier auf die so genannten Befreiungsmanöver, mit denen durch gezielte schnelle Lagerungs- und Kopfbewegungen zunächst der Schwindel bewusst herbeigeführt wird, um die Steinchen zu lokalisieren und sie anschließend wieder in eine stabilisierte Position zu bringen. Hierzu werden hauptsächlich die Befreiungs- oder Lagerungsmanöver nach Sémont oder nach Epley angewandt.

Der Physiotherapeut leitet den Schwindelpatienten genauestens an und gibt ihm zusätzlich oft einen Übungsflyer mit, damit er die Manöver danach zuhause selbst durchführen kann. Die eigentliche Behandlung beim Therapeuten bedarf oft nur einer Sitzung, kann aber auch wiederholt werden, bis sich der Patient mit den Übungen sicher ist, denn es sind genaue Abfolgen und die Haltung von Positionen über einen bestimmten Zeitraum hinweg einzuhalten. Schon kleinste Fehler machen das jeweilige Manöver uneffektiv. Zuhause führt der Patient die Manöverübungen in der Regel dreimal täglich und bis zu dreimal hintereinander aus und zwar solange, wie sich der Schwindel durch die Übung noch auslösen lässt.

 

Vestibuläre Rehabilitationstherapie (Schwindeltherapie)

Die vestibuläre Rehabilitationstherapie (VRT) bezeichnet ein gezieltes Gleichgewichts- und Stabilisationstraining, das bei akutem oder chronischem Schwindel, aufgrund von Störungen des so genannten vestibulären Systems, zur Anwendung kommt.

Gleichgewichtsorgan, Otholitenorgan, Gleichgewichtsnerv und Rezeptoren bilden das vestibuläre System, das mit den Augenmuskeln und der Muskulatur an Sehnen und Gelenken verbunden ist. Erkrankungen oder auch Verletzungen im Innenohr oder Gehirn, Umwelteinflüsse oder genetische Faktoren können Störungen im vestibulären System verursachen, die dann zu Schwindel führen.

Begründet wurde die vestibuläre Rehabilitationstherapie durch die englischen Ärzte Cawthorne und Cooksey in den 1940er Jahren, die sich bis heute deutlich weiterentwickelt hat. Die VRT setzt sich aus speziellen Übungen, die der Physiotherapeut gemeinsam mit dem Patienten durchführt, und dem weiteren Training des Patienten zuhause zusammen.

Die Übungen umfassen gezielte Augen- und Kopfbewegungen, Balance-Bewegungen, Fixationsübungen mit dem Auge, Gleichgewichts- und Gangübungen. Dieses Trainingsprogramm hilft langfristig, das vestibuläre System zu stabilisieren und gibt dem Patienten Sicherheit. Ausdauerndes Üben ist jedoch erforderlich, damit die Schwindelsymptomatik gebessert werden kann.

Physiotherapeuten leiten an, doch die Hauptarbeit liegt beim Patienten, von ihm wird aktive Mitarbeit zuhause gefordert. Die Übungen sind nicht schwierig, fordern aber Konzentration und bringen auch völlig neue Erfahrungen über das eigene Gleichgewichtsempfinden. Die Übungen sollten zuhause täglich durchgeführt werden, am besten ist es, sie in den Alltag einzubinden. Die Schwindeltherapie ist langfristig angelegt, d.h. eine Besserung erfordert ein Training, das über Monate und Jahre andauern kann, dafür ist es aber sehr effektiv. Wie auch bei den Befreiungsmanövern lösen die Übungen zunächst Schwindel oder Unsicherheiten aus, was aber bewusst gewollt ist, damit das Gehirn sich an die Situation anpassen und in Bezug auf die Unsicherheit neu lernen kann.

 

Zervikogener Schwindel

Starke Muskelverspannungen im Hals-Nackenbereich können ebenfalls Schwindel auslösen. Schwindelerscheinungen, deren Ursache auf Funktionsstörungen der Halswirbelsäule beruht, werden als zervikogener Schwindel bezeichnet. Diese Funktionsstörungen können Knochen, Gelenke, Muskeln, Sehnen und Bänder der Halswirbelsäule betreffen, wobei die Fehlfunktion einer Komponente meist Auswirkungen auf alle anderen Elemente hat. Obwohl der zervikogene Schwindel nicht eindeutig wissenschaftlich belegt ist, so zeigen sich in der gezielten physiotherapeutischen Behandlung beachtliche Erfolge.

Der zervikogene Schwindel äußert sich vornehmlich als Schwankschwindel oder Gangunsicherheit und verschlimmert sich durch Bewegung und nach längeren Zeit in einer Zwangshaltung. Er geht oft mit Nacken- und Kopfschmerzen einher und kann zwischen wenigen Minuten und mehreren Stunden anhalten. Patienten zeigen Auffälligkeiten an der Halswirbelsäule sowie im Bereich von Nacken und Schultern. Die Diagnose eines zervikogenen Schwindels kann nicht wie bei anderen Schwindelformen durch einen bestimmten Test gestellt werden. Hier sollten Arzt und Physiotherapeut intensiv zusammenarbeiten, vor allen Dingen müssen andere Ursachen, die ebenfalls Schwindel verursachen können, ausgeschlossen sein.

 

Muskelverspannungen im Hals-Nackenbereich

Die Muskeln, Sehnen und Bänder im Bereich der Halswirbelsäule sind von Nervenzellen umgeben, die Gleichgewichtsinformationen an das Gehirn weiterleiten. Muskelverspannungen und Gelenkprobleme in der Halswirbelsäule können die Hirnnerven negativ beeinflussen und so auch Schwindel hervorrufen. Verantwortlich dafür sind meist verspannte Muskeln im Hals-Nackenbereich durch Fehlhaltungen und Belastungen, die auf die umliegenden Nerven drücken.

Kleinere Muskeln, die in der Tiefe liegen, können sogar eingeklemmt werden. Die Nervenzellen an den Muskeln fungieren als Sensoren, die mit Gleichgewichtsorgan und Gehirn in Kommunikation stehen. Ist die Muskelspannung stark verändert, werden hier falsche Signale zur Raumorientierung weitergegeben. Ursächlich für eine Funktionsstörung der Halswirbelsäule können u.a. andauernde Fehlhaltung, Überbelastung, Kopfverletzungen sein.

Um funktionelle Beschwerden zu lindern, kommen in der Physiotherapie manuelle Therapietechniken in Frage, welche die Muskulatur stabilisieren und normalisieren und die Funktionsstörung der Halswirbelsäule beheben. Diese können zusätzlich mit gezielten krankengymnastischen Übungen (z.B. mit dem Theraband) sowie einem Heimübungsprogamm oder der vestibulären Rehabilitationstherapie kombiniert werden. Zu den manuellen Therapieansätzen beim zervikogenen Schwindel gehört die so genannte Atlastherapie oder Atlaskorrektur.

 

Disclaimer: Die Informationen in diesem Artikel ersetzen nicht die professionelle medizinische Beratung, Diagnose oder Behandlung durch einen Arzt. Jegliche Entscheidungen, die auf den präsentierten Informationen basieren, liegen in der Verantwortung des Lesers und sollten stets in Absprache mit einem medizinischen Fachpersonal getroffen werden.